Warum ist Übergewicht gerade in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren so derart explosionsartig gestiegen – und plötzlich zum Problem geworden, das schon beinahe jeden Zweiten betrifft? Sind es wirklich wir selbst, die wir uns ganz urplötzlich selbst überhaupt nicht mehr kontrollieren und nur noch hemmungslos völlern – oder spielen dabei denn auch noch andere Faktoren eine Rolle? Profitiert denn jemand davon, wenn wir uns ständig überessen? Und welche Mechanismen lassen uns die Kontrolle verlieren? Und noch besser: Was kann man dagegen tun, um sich wirkungsvoll zu schützen?
Die “böse” Lebensmittelindustrie
Wer davon lebt, unser Essen herzustellen und zu verkaufen, hat natürlich, wie jeder andere Unternehmer auch, Geschäftsinteressen, und ein Interesse daran, so viel wie möglich zu verkaufen. Das ist legitim. Niemand wird eine Spielekonsole wenig attraktiv machen, damit Menschen möglichst nicht spielsüchtig werden. Und die Telekom wird ihre Internetzugänge sicherlich nicht für Privathaushalte zeitlich begrenzen, um die allseits um sich greifende und mittlerweile wissenschaftlich anerkannte Internetsucht nicht noch weiter zu fördern. Und die Lebensmittelindustrie tut genau das, was sie soll: das Essen herstellen und verkaufen, das uns schmeckt.
Allerdings sind dabei Mechanismen im Spiel, die wir bewusst nur schwer bis gar nicht kontrollieren können. Die angeborene Verlockung für Zucker beispielsweise. Wir tragen ein evolutionäres Programm in uns, das uns dazu anhält, unsere Nahrungsbeschaffung so effizient wie möglich zu gestalten. Das bedeutet, für den Erwerb möglichst vieler, schnell verfügbarer Kalorien so wenig Kalorien wie möglich aufzuwenden, damit die Gesamtsumme möglichst hoch bleibt. Das hat weder mit Gier noch Faulheit zu tun, sondern ist ein angeborener Instinkt, der über Jahrmillionen unser Überleben sicherte – und Zucker ist nun einmal ein sehr kalorienreiches und leicht verdauliches Nahrungsmittel, unter anderen. Bekommen wir nun etwas vorgesetzt, was viele und schnell verfügbare Kalorien enthält, findet unser Körper das toll – selbst wenn es nur mit bis zu 40 Prozent Zucker versetztes Ketchup ist. Ganz ähnlich verhält es sich mit Fast Food – schnell verfügbar, schnell zu essen, und meist kalorienreich. Fett und Zucker sprechen unsere Instinkte eben mehr an, als trockene Möhren.
Wenn die Lebensmittelindustrie und die Gastronomie nun auf eben diese Mechanismen setzen, um möglichst viel zu verkaufen, tun sie das auch, weil uns das in gewisser Weise “zufriedenstellt” – und wir deshalb wiederkommen werden. Wie jeder andere Geschäftsmann auch. Einem bekannten Burger-Betrieb hat man unterstellt, die Burgerbrötchen exakt auf die Temperatur und die Konsistenz der Mutterbrust zu bringen, um dem Kunden beim ersten Biss ein ganz besonderes instinktives Wohlbehagen zu vermitteln. Das mag wohl etwas weit hergeholt sein, aber selbst wenn, werden hier ganz einfach Mechanismen bedient, die den Verkauf und die Kundenzufriedenheit fördern sollen. Daraus kann man allerdings nur schwer einen generellen Vorwurf der Manipulation ableiten – ansonsten müsste man den auch auf Autohersteller, Spielekonsolenproduzenten und generell jeden Werbetreibenden ausdehnen.
Echte Selbstbestimmung ist der (einzige) Weg aus der Falle
Nichtsdestoweniger müssen wir aber unsere Möglichkeit zur Selbstbestimmung wahrnehmen. Das gilt für alle Bereiche, und auch für unser Essen. Wir können die evolutionären Mechanismen erkennen, und außer Kraft setzen, wenn wir lernen, auf unseren Körper zu hören. Das funktioniert nachgewiesenermaßen. Es ist schwierig, und bedeutet, dass wir mit unserem Essen sehr diszipliniert, bewußt und achtsam umgehen müssen, aber es funktioniert. Ab einem gewissen Punkt nehmen wir das Verlangen zwar noch wahr, wir können es aber deutlich von “echten” Bedürfnissen nach Nahrung unterscheiden. Der Lohn dafür ist, dass wir unseren Körper ein Leben lang mit genau den Nährstoffen und Mengen versorgen, die er tatsächlich braucht, und unempfindlich gegen jede Art von Nahrungsideologie und Manipulation werden. Das rettet uns dann buchstäblich das Leben.
Comments (5)